Der Protest, der alles veränderte
Im Oktober 2018 protestierten Teilnehmende des Cultural Innovators Forum im Venezianischen Saal gegen Darstellungen des Arlecchino, die sie an *Blackfacing erinnerten.
Die Plakate wurden an den historischen Tafeln angebracht und machten darauf aufmerksam, dass diese Kunstwerke als rassistisch wahrgenommen werden könnten.
Auch wenn der Protest anonym blieb, führte er bei Salzburg Global zu einem wichtigen institutionellen Bewusstsein dafür, wie unterschiedlich Menschen diesen Raum und seine vielschichtige Geschichte erleben und wahrnehmen.
Vom Unbehagen zum Dialog
Der Protest machte deutlich, dass Salzburg Global das Schloss anders wahrnahm als die Fellows.
Dieser Moment stellte viele bisher selbstverständliche Annahmen infrage und brachte Salzburg Global dazu, sich intensiver mit den Geschichten auseinanderzusetzen, die sich im Gebäude widerspiegeln.
Gleichzeitig zeigte er, wie wichtig inklusive Gespräche, historische Offenheit und ein bewusster Umgang mit der Bedeutung kultureller Symbole im Wandel der Zeit sind.
Zuhören, Lernen, Verändern
Seither wächst das Bewusstsein, dass Diversität, Gleichberechtigung und Inklusion nicht nur Programminhalte, sondern auch Praxis, Kultur und Raumgestaltung prägen müssen.
Durch Dialoge, externe Beratungen und interne Überprüfungen begann Salzburg Global Bereiche zu adressieren, in denen bisher eine geeignete Repräsentation und Reaktion nicht ausreichend waren.
Kritisches Feedback, vor allem von den Fellows, machte deutlich, wo gute Absichten nicht genügten, wo Inklusion eher zufällig als strategisch umgesetzt wurde und wo historische Annahmen hinterfragt werden mussten.
Dieser fortlaufende Prozess ist getragen von der Erkenntnis, dass viele Stimmen und Generationen die Entwicklung einer Institution prägen.
*Blackface bezeichnet das Schminken von weißen Darsteller:innen, um eine stereotype Darstellung schwarzer Menschen zu erzeugen. Dabei werden Hautfarbe, Gesichtszüge, Haare und manchmal auch Gestik überzeichnet.
Werte in Aktion
2021 verabschiedete Salzburg Global vier Leitwerte: Willkommenskultur, Austausch, Fairness, Transformation.
Diese Werte bestimmen, wie Programme gestaltet, Gäste empfangen und Geschichten des Schlosses erzählt werden.
Salzburg Global möchte diesem historischen Ort durch inklusivere Bilder, bessere Zugänglichkeit und kulturelle Relevanz eine neue Bedeutung geben.
Diese Werte spiegeln sich auch in der DEI-Strategie wider. Sie setzt auf Offenheit, Transparenz und ständiges Reflektieren darüber, was es bedeutet, heute und in der Zukunft dazuzugehören.
Eine lebendige Antwort durch Kuratierung
Nach dem Protest im Venezianischen Saal begann Salzburg Global - unter Einbeziehung von Fellows, Kurator:innen und Expert:innen aus aller Welt - das kulturelle Erbe des Schlosses umfassend zu prüfen.
Statt historische Elemente zu entfernen, wird Neues ergänzt, wie beispielsweise erklärende Schilder und wechselnde Ausstellungen und Kunstwerke von Fellows mit unterschiedlichen Hintergründen.
So soll das Schloss zu einem inklusiveren Ort werden, der zum Nachdenken einlädt, statt Vergangenes zu vergessen und so Platz für sich wandelnde Perspektiven schafft.
Die Maske als Metapher
In der Commedia dell’arte erlaubten Masken den Schauspieler:innen, in neue Rollen zu schlüpfen und verborgene Wahrheiten über die menschliche Natur zu zeigen.
Das Projekt „Verschleierung des Venezianischen Salons“ greift diese Idee auf: Ein transparenter Stoff verschleiert einige Gemälde auf denen Arlecchino zu sehen ist.
Es geht nicht darum, Bilder zu verstecken oder zu vergessen, sondern um Reflexion: Was zeigen wir? Was bleibt verborgen? Welche Geschichten rücken wir in den Vordergrund?
So wird der Raum selbst zu einer Bühne, auf der verschiedene Erzählungen koexistieren können.
Arlecchino: Ursprung und Deutung
Arlecchino, eine feste Figur der italienischen Commedia dell’arte des 16. Jahrhunderts, wird traditionell mit einem bunten Flickenkostüm und einer schwarzen Halbmaske oder einem rußgeschwärzten Gesicht dargestellt.
Ursprünglich könnte dies seine bäuerliche Herkunft, Referenzen an die mittelalterliche Folklore oder archetypische Gestalten des dämonischen Tricksters symbolisieren. Arlecchinos Maske war ein theatralisches Mittel, das den Schauspielern erlaubte, Identitäten zu transformieren und Autorität satirisch zu hinterfragen.
Als Max Reinhardt 1930 die venezianischen Wandtafeln im Schloss installierte, tat er dies aus Bewunderung für die künstlerische und politische Tradition der Commedia dell’arte, einer Vorläuferin des modernen Theaters.
Zwischen Spiel und Vorurteil
In der britischen Pantomime trat Arlecchino gemeinsam mit Figuren wie Colombina auf und wurde Teil stilisierter Aufführungen, die zunehmend rassifizierte Stereotype widerspiegelten.
Im 19. Jahrhundert griffen die Minstrel-Shows in den USA diese Formen auf: Sie übernahmen geschwärzte Masken, derben Slapstick-Humor und überzeichnete Dialekte, um Schwarze Menschen lächerlich zu machen.
Heute weisen Wissenschaftler:innen auf die visuellen und thematischen Parallelen zwischen Commedia-Figuren wie Arlecchino und Minstrel-Archetypen hin, darunter der „Black Fool“ oder die Figur des „Jim Crow“.
Auch wenn Arlecchinos Ursprung nicht explizit rassistisch war, überschneidet sich seine theatralische Nachwirkung mit den Geschichten von Kolonialismus, Sklaverei und strukturellem Rassismus auf der Bühne.
Es ist wichtig, dass Institutionen mit solchen Bildern verantwortungsvoll umgehen, damit auch das Publikum besser versteht, wie Komik, Karikatur und Kultur miteinander verknüpft sind.
Arlecchino im Wandel der Zeit
Heute wirft Arlecchinos dunkles Gesicht Fragen zu Erbe, Interpretation und Inklusion auf.
Die historische Verbindung von Maskierung und Rassensymbolik darf nicht ignoriert werden – gerade in einem Raum, in dem heute internationale Führungskräfte, Künstler:innen und andere wichtige Akteur:innen zu Gast sind.
Für Institutionen wie Salzburg Global geht es im Umgang mit diesen vielschichtigen Geschichten nicht darum, die Vergangenheit zu verdrängen, sondern ihr mit Ehrlichkeit zu begegnen. Arlecchinos Weg, vom satirischen Rebellen zur Figur assoziiert mit Blackfacing, macht deutlich, dass kulturelle Symbole Bedeutung tragen und dass es darauf ankommt, wie wir sie präsentieren.